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AutorenbildAndrea Kampermann

Körperliche und seelische Erkrankungen im Erwachsenenalter und ihr Zusammenhang mit Kindheitstrauma - die "ACE-Studie"

Die frühe Kindheit und auch weitere traumatische Erfahrungen legen den Grundstein für Gesundheit als Erwachsene.


Kindheitstrauma und Erkrankungen im Erwachsenenalter

In der ACE (Adversive Childhood Experiences) Studie wurden 17.000 erwachsene US-AmerikanerInnen zu traumatischen Erlebissen ihrer Kindheit und eventuellen Folgeerscheinungen, die sich in Form von körperlichen und/oder seelischen Symptomen zeigen, befragt.


Sehr eindrücklich bestätigt die Studie den Zusammenhang zwischen Kindheitstrauma und psychischen, aber auch körperlichen Erkankungen im Erwachsenenalter. Dieser Einfluß ist umso größer, je mehr traumatisierende Erfahrungen die Betroffenen in ihrer Kindheit gemacht haben.


  1. Inhalte der Studie


Insgesamt wurden zehn Arten von möglichen Kindheitstraumata abgefragt.

Fünf von 10 beziehen sich auf direkte Erlebnisse des/der Betroffenen und die anderen fünf auf das familiäre Umfeld. Alle abgefragten Symptome beziehen sich auf ein Alter der Betroffenen zwischen 0 und 18 Jahren. Hier siehst du die Fragen (Achtung! Sie können triggern und unangenehme Gefühle und/oder Erinnerungen hervorrufen):


Haben Sie bis zum 18. Lebensjahr Folgendes erlebt?

  1. Hat Sie ein Elternteil oder ein/e andere/r Erwachsene/r im Haushalt oft wüst beschimpft, Sie gekränkt, niedergemacht oder gedemütigt

    oder...

    so gehandelt, dass Sie Angst hatten, er/sie könnte Ihnen körperlich wehtun?

  2. Hat Sie ein Elternteil oder ein/e andere/r Erwachsene/r im Haushalt oft gestoßen, gepackt, geschlagen oder etwas nach Ihnen geworfen oder...

    jemals so heftig geschlagen, dass Sie Spuren davongetragen haben oder verletzt wurden?

  3. Hat ein/e Erwachsene/r oder eine Person, die mindestens fünf Jahre älter war als Sie, Sie jemals angefasst oder begrapscht oder Sie dazu gebracht, seinen/ihren Körper in sexueller Weise zu berühren oder...

    versucht, oralen, analen oder vaginalen Verkehr mit Ihnen zu haben bzw. diesen tatsächlich ausgeübt?

  4. Haben Sie oft das Gefühl gehabt, dass niemand in Ihrer Familie Sie liebte oder Sie für wichtig oder etwas Besonderes hielt, oder...

    Ihre Angehörigen sich nicht umeinander kümmerten, keine Nähe zueinander empfanden oder einander nicht unterstützten?

  5. Hatten sie für Ihr Gefühl, oft nicht genug zu essen und nur schmutzige Kleidung zum Anziehen, sowie niemanden, der Sie beschützte oder...

    waren Ihre Eltern zu betrunken oder zugedröhnt, um sich um Sie zu kümmern oder Sie bei Bedarf zum Arzt zu bringen?

  6. Lebten Ihre Eltern jemals getrennt oder ließen sich scheiden?

  7. Wurde Ihre Mutter oder Stiefmutter...

    oft gestoßen, gepackt geschlagen oder mit etwas beworfen

    oder...

    manchmal oder oft getreten, gebissen, mit Faustschlägen traktiert oder mit einem harten Gegenstand verprügelt?

    oder...

    jemals wiederholt für mindestens ein paar Minuten verprügelt oder mit einer Schusswaffe oder einem Messer bedroht?

  8. Haben Sie mit jemandem zusammengelebt, der/die Alkoholprobleme hatte oder AlkoholikerIn war oder der/die Drogen nahm?

  9. War ein Haushaltsmitglied depressiv oder psychisch krank, oder hat ein Haushaltsmitglied versucht, sich umzubringen?

  10. War ein Haushaltsmitglied irgendwann im Gefängnis?


Darüber hinaus können zur Beleuchtung traumatischer Reaktionen folgende Fragen interessant sein:

  • Wurden Ihnen als Kind Gefühle aberkannt?

  • Waren Ihre Eltern dissoziiert / gefühlt abwesend?

  • Ist ein Elternteil oder Geschwister früh oder auf ungewöhnliche Weise (Unfall, Krankheit, Mord...) verstorben?

  • Gab es im engen familiären Umfeld Fehl- oder Totgeburten oder Abtreibungen?

  • Gab es bei Ihnen oder in der Eltern- oder Großelterngeneration Kriegserfahrungen, Gefangenschaft oder Vertreibung?


Der "ACE-Score":

Jede positive beantwortete Frage des Fragebogens bedeutet eine "ACE" (quasi einen Punkt). Alle Punkte zusammen ergeben den sogenannten "ACE-Score", der ein Maß für trauatisierende Vorbelastungen darstellt.


  1. Ergebnisse der Studie

Die Studienergebnisse zeigen einen deutlichen Zusammenhang zwischen körperlichen und /oder seelischen Erkrankungen und Kindheitstraumata.

Gerade in den USA denkt man bei traumatisierten Bevölkerungsschichten häufig an Menschen aus der Unterschicht. Die Studie zeigt jedoch deutlich, dass Kindheitstrauma in allen Bevölkerungsschichten vorkommen.

Je höher der ACE-Score, desto größer der negativer Einfluß der erlebten Traumata auf die spätere seelische UND körperliche Gesundheit.


Liegen sechs oder mehr Traumatisierungen in der Kindheit vor, verringert sich die Lebenserwartung von Betroffenen laut der Studie sogar um durchschnittlich 20 Jahre.


Zu den negativen Gesundheitsfolgen gehören erhöhte Risiken in folgenden Bereichen:

  • zu Rauchen

  • Alkohol- oder Drogenmissbrauch

  • Leber-, Herz- oder Lungenerkrankungen zu erkranken

  • Erkrankung an Depression und anderen psychischen Störungen

  • Selbstmordversuch (mindestens einmalig)

  • Totgeburt

  • Erkrankung an verschiedenen Krebsarten

  • Ansteckung mit sexuell übertragbaren Erkrankungen

  • Knochenbrüche

  • Erkrankung an einer Essstörung


Hier erhältst du weitere Informationen zur ACE-Studie.


  1. Warum ist die Studie in meinen Augen wichtig?

Während in den USA und Kanada Wissenschaftler und Fachkräfte im Bereich der Neuro- und Traumaforschung und Begleitung Betroffener die Studienergebnisse in ihre Arbeit integrieren, ist sie in Deutschland und Europa leider kaum bekannt.


In meinen Augen ist es besonders wichtig für Betroffene von psychischen Erkrankungen, wie Persönlichkeitsstörungen (z.B. Borderline u.A.), zu wissen, dass sie die Symptomatik nicht haben, weil die "komisch oder flasch" sind, sondern diverse Erfahrungen im Kindes- & Jugendalter maßgeblich mit hineinspielen können in die Krankheitshistorie. Dies entspricht absolut auch meinen Erfahrungen in der Begleitung von Frauen mit Borderline - der Körper erzählt oftmals eine ergreifende Geschichte von zu viel Verantwortung, emotionaler Vernachlässigung, unsicheren Bindungen und ähnlichen Erfahrungen während des Heranwachsens.


Körperliche Erkrankungen, wie z.B. chronische oder immer wiederkehrende Rückenschmerzen, Migräne, schmerzende Arme & Hände oder Beine & Füße, aber auch Fibromyalgie, Autoimmunerkrankungen, Erkrankungen des Verdauungssystems oder des Herzens, werden - besonders in der gängigen Körperarbeit - nicht oder selten unter dem Überbegriff "Trauma" eingeschätzt und behandelt.


Ohne Fokus auf Nervensystemkapazität und fühlbare Sicherheit im System, werden solch körperliche Symptome be-handelt, was wiederum eine weitere Bedrohung für das Nervensystem des/der Betroffenen darstellen und somit Symptome verschlimmern kann.


Dies führt zu hohem Leidensdruck und dem Gefühl "nicht richtig zu funktionieren". Gedanken wie "mir ist nicht mehr zu helfen" oder "mit mir stimmt etwas nicht" beeinträchtigen den Weg in die Verbindung zum eigenen Körper und seinen individuellen Bedürfnissen. Lebenskraft, Freude und Leichtigkeit werden auf Basis dieser Erlebnisse oft unerreichbar für Betroffene.


Ich wünsche mir, dass sich dieses Wissen mehr und mehr in alle Bereiche ausweitet, in denen Menschen mit Menschen arbeiten.


Ich wünsche mir, dass Sanftheit in die psychischen und physischen Behandlungsräume einzieht und statt der Diagnose wieder der Mensch gesehen und vor allem gespürt wird - mit offenen Herzen und auf Augenhöhe.


Wenn du möchtest, teile gerne deine Erfahrungen und Ansichten hierzu mit mir in den Kommentaren.


Danke für dein Sein. Danke für deine Zeit.


Alles Liebe,

Andrea


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